Zeitgenössische Floristik : Ein zukunftsreicher Ansatz
EINE NEUE ART ZU SEHEN
In einer Zeit, in der übermäßiger Konsum und die Nutzung nicht nachhaltiger Ressourcen Realität ist, müssen wir unsere Denkweise und unser Verhalten radikal ändern und uns für Lösungen einsetzen, die für den Planeten, der uns ernährt, nachhaltig und zukunftssicher sind.
Das bedeutet, zu überdenken, welche Auswirkungen unsere derzeitigen Lebensweisen zu diesem einzigartigen Ökosystem haben, welche Beziehung wir zur Erde führen, und wie wir selbstbestimmt von destruktivem Verhalten zu einer fürsorglichen Verhaltensweise übergehen können.
Nachhaltigkeit im Sinne von Pope et al. (2004) und Purvis et al. (2019) beruht auf den drei fundamentalen Säulen: der Sozialen, der Wirtschaftlichen und der Ökologischem.
Obwohl sie weithin bekannt sind und das Wort “Nachhaltigkeit” üblicherweise im alltäglichen Sprachgebrauch verwendet wird, werden die Wertem die dahinter stehen, selten im Bezug auf den Anbau von Blumen und der Blumenbinderei übertragen oder gelebt.
Zeitgenössische Floristik, wie ich sie definiere, bedeutet, Materialien und Praktiken, die nicht mit natürlichen Lebensweisen in Einklang stehen, vollständig zu verwerfen.
Das Betrifft die Verwendung von gesundheitsschädlichem und nicht-kompostierbaren Steckschaum, sowie deren ebenso wenig nachhaltigen “Alternativen”, wie Steinwolle und Bambusfaser-Gemische, die durch enormen Einsatz von Energie und Wasser hergestellt werden.
Es gilt ebenso, den konventionellen chemisch gebleichten Trocken- und Frischblumen den Rücken zuzukehren und somit auf herkömmlich massenproduzierte Blumen, die mit langen Transportwegen importiert werden, zu verzichten. Auch die Reduktion von Plastik und anderen Materialien, die nicht nachhaltig sind und über langen Zeitraum verwendet werden können, gehört dazu.
Es bedeutet aber vor allem auch, sich darüber im Klaren zu sein, wie Blumen eigentlich hergestellt werden und wer alles am Prozess beteiligt ist: vom Samen über die Blume bis hin zum Blumenhandwerk und dem Design:
Als umweltbewusster Slow-Flower-Florist glaube ich, dass es wichtig ist, durch das florale Handwerk ein neues Bewusstsein zu schaffen und so innerhalb und ausserhalb der Blumenbranche Veränderungen zu ermöglichen: Mit Haute Jardin kultiviere ich zeitgenössische Floristik, die im Einklang mit der Natur steht — die die Eigenheiten der Saisonalität und die Wildnis der Natur schätzt, fördert und deren Schönheit und Vergänglichkeit zelebriert.
DIE ROMANTISCHE ILLUSION
Es ist heutzutage leicht zu glauben, dass die romantischen, üppigen und farbenfrohen Blumensträuße, die Sie im Blumenladen kaufen, um sie Ihren Liebsten zu schenken völlig natürlich, naturnah und ganz besonders wild sind: So sehen sie zwar auch aus — sind sie aber in der Regel nicht.
Mit einem jährlichen Umsatz von 3 Milliarden Euro ist die deutsche Blumenindustrie schlichtweg eine der größten in Europa: Kein Wunder, denn fast alle Blumen, die an jedem Tag des Jahres erhältlich sind und von Blumengeschäften und Floristen in Deutschland verarbeitet werden, sind importiert: Einige aus Nachbarländern wie Holland. Andere kommen direkt oder indirekt (über Holland) aus Kolumbien, Israel, Kenia, der Türkei, Ecuador und vielen Weiteren. Viele bekannte Gesichter sind darunter: Rosen, Gerbera, Hyazinthen, Clematis, verschiedene Grünpflanzen, Tulpen, Anemonen und die so oft geliebten Pfingstrosen. Bis zu 186.674,6 Tonnen stammen aus den Niederlanden, die wiederum aus den oben genannten Ländern importieren, mit Ihnen handeln und die Ware als saisonale Blumen vertreiben, um in dem Blumenladen des Vertrauens als frisch, nachhaltig und umweltfreundlich verkauft zu werden. (Import Promotion Desk, 2021; Bayerische Rundfunk, 2021 )
Einige Farmer*innen, vor allem Zuständig für exotische Blumen, wie Orchideen, Proteen und Rosen, arbeiten mit Fair-Trade-Organisationen zusammen, um ein nachhaltiges. Rombach et al. (2021 )feststellen ist ethischer Konsum oft eher an soziale als an umweltorientierte Aspekte gebunden, und erklären weiter, dass Verbraucher in Deutschland fair gehandelte importierte Rosen, gegenüber biologisch im Land angebauten bevorzugen. Diese Widersprüche zeigen die Notwendigkeit der Sensibilisierung und Aufklärung in diesen Bereichen.
Der oft missbräuchliche Umgang mit Umwelt und Menschenrechten in der Massenproduktion, insbesondere in Drittwelt- und Entwicklungsländern, ist bekannt und hat glücklicherweise in den letzten Jahren mehr Aufmerksamkeit bei den Verbrauchern erlangt, auch wenn Etiketten und geschicktes Marketing sich, nach wie vor, gerne dem Green-Washing bedienen, um Sie unter allen Umständen glauben zu lassen, dass Sie etwas anderes als nicht-saisonale Massenware kaufen.
Die meisten Blumen in normalen Geschäften sind an 365 Tagen im Jahr erhältlich. Auf Instagram und den Soziale Medien sogar rund um die Uhr. Viele Verbraucher*innen schwärmen von blass-rosa Pfingstrosen zu Novemberhochzeiten und Maiglöckchen als absolutes Highlight im September — mit frischen Inspirationen von virtuellen online Hochzeiten, weißen überladenen Hortensienmeeren inmitten von Wüsten, oder allerlei anderer Pinterest-Dekorationen verschiebt sich die Realität mit jedem Scrollen ein weiteres Mal.
Hinter dem Vorhang von perfekten Hochzeiten in exotischen Destinationen, wilden Blumenportraits und Marketing Kampagnen steckt aber oft ein wirtschaftlich getriebener Verschwedungsdrang — verschleiern so genau mit diesen surrealen Welten, oftmals den inneren ethischen Kompass der Konsument*innen.
Durch unsere konsumorientierte Gesellschaft haben wir vergessen, dass es natürliche Zyklen gibt, die mit dem Anbau, der Pflege und der Ernte von Pflanzen verbunden sind. Es scheint, dass wir in einem Paralleluniversum leben, in dem die Natur nur einen Zweck hat: für unsere Bedürfnisse genutzt zu werden. Nicht als ganzheitliches Ökosystem, sondern als physische Matrix die durch Ausbeutung, Tiefpreise und einer Wegwerf-Mentalität definiert ist.
Sollte der Ansatz eigentlich nicht sein, die Erde nachhaltig zu kultivieren und mit ihren innewohnenden Zyklen arbeiten, um eine insgesamt grünere Zukunft zu gestalten und wirklich reale zukunftssichere Wege zu finden, um endgültig unsere schädlichen Auswirkungen zu reduzieren. Scheinbar schon, denn es ist einiges in Veränderung:
SCHRITT FÜR SCHRITT
Doch neben diesen verheerenden Aspekten in unserer aktuellen Blumen- und Lebenskultur gibt es einen Wandel. Den Menschen wird langsam bewusst, wie unverantwortlich Massenproduktion in Bezug auf Ressourcen und deren Auswirkungen wirklich ist. Initiativen wie der FSI2025 wollen eine fair gehandelte und ethische Importkette für Schnittblumen schaffen (BGI, 2021). Sie versuchen, Transparenz in die Lieferketten zu bringen und genauso, wie das sogenannte Import Promotion Desk , großen Importunternehmen die Möglichkeit zu geben, mit ausgewählten Erzeugern zusammenzuarbeiten, die ihre Nachhaltigkeitskriterien erfüllen. Ein großer Erfolg, wenn man die globalen Auswirkungen betrachtet, die der Blumen—Importsektor hat.
Der hohe CO2-Fußabdruck der Blumenproduktion und deren Importgeschäfte, der enorme Wasser- und Ressourcenverbrauch, sowie die Überdüngung und Abwasserproduktion, die zum Verschwinden und zur Zerstörung lokaler Landschaften in Dritte-Welt- und Entwicklungsländern beitragen, benötigen eine andere, radikalere und unmittelbarere Lösung — ohne dabei die sozialen und wirtschaftlichen Aspekte der Nachhaltigkeit beiseite zu schieben, denn die globalen Vernetzungen und komplexen Systeme brauchen keine Pauschallösungen sondern regionale, saisonale und soziale Veränderungen.
Und genau diese sind gerade im Aufschwung: Schritt für Schritt, so wie man es vielleicht von einer natürlichen Entwicklung, fernab von Schnelllebigkeit erwarten würde.
SLOW FLOWERS
Ein radikaler Bewusstseinswandel und die Art und Weise, wie Blumen gesehen werden, wird bereits Realität, geschaffen von einer Bewegung leidenschaftlicher Menschen und Pioniere, die daran arbeiten, ethisch und im Einklang mit den natürlichen Zyklen und ihrer besonderen Gegebenheiten vor Ort zu kultivieren: Die Menschen der Slowflower—Bewegung.
Diese international wachsende Bewegung von Landwirt*innen und Florist*innen, die die Erde sorgfältig, je nach Lage und Standort kultivieren, saisonale und regionale Schnittblumen auf nachhaltige Weise anbauen und alternative Techniken in der Blumengestaltung praktizieren, hat die verschiedende Ursprünge: In England hat Gill Hodgson bereits 2011 die „Flowers From The Farm“ gegründet und die Bewegung zu einem mittlerweile etablierten Netzwerk von Züchter*innen, Farmer*innen und Florist*innen geführt.
In Amerika geht die Bewegung auf Erin Benzakein und Debra Prinzing zurück, die seit den frühen 2000er Jahren mit nachhaltigen, saisonalen Blumen arbeiten und viele Europäer inspiriert haben, es ihnen gleich zu tun.
In Kanada ist Christin Geall eine der prominentesten Denker- und Gärtnerinnen, die Fragen zu Umweltpraktiken und dem Anbau von Blumen in ihrer eigenen Praxis auf globaler Ebene aufgeworfen hat. Mit ihren wissenschaftlichen Ansätzen versucht sie, das Bewusstsein für die sich stets verändernde Ökologie zu schärfen, die sich oft auf soziale und ethische Themen beziehen um dabei gleichzeitig die Schönheit der Natur, in diversen kulturellen Kontexten zeigen zu können.
In Deutschland wurde die “Slowflowerbwegung” Ende 2019 gegründet, um ein Netzwerk aus gleichgesinnten Landwirt*innen, Florist*innen und Schnittblumengärtner*innen zu schaffen, die das Bewusstsein für saisonal und regional angebaute Schnittblumen stärken und als natürlich, selbstverständlich und alltäglich verbreiten wollen. Seitdem wächst die Bewegung stetig mit einer Community, die sich aus Mikrobauer*innen, Bio-Großbauer*innen, Florist*innen , Gärtner*innen und Quereinsteiger*innen zusammensetzt, die in allen deutschsprachigen Ländern ansässig sind: Deutschland, Österreich und der Schweiz. Erst seit kurzem entwickelt sich auch aus der Bewegung ein Verein, der die Werte und Praktiken in noch größerem Umfang vertreten kann und somit eine öffentliche Stimme in der aktuellen soziopolitischen Landschaft erhält.
Das zeigt, dass radikale Veränderungen bereits Realität werden und kein Wunschdenken oder Utopien sind: Unsere Bewegung, die geprägt ist von einem Bewusstseinswandel, lässt die Vision einer zukunftssicheren Umwelt und eines ganzheitlich nachhaltigen Lebens- und Konsumansatzes Realität werden.
Wenn uns als Florist*innen, Landwirt*innen, Gartendesigner*innen, Landschaftspflege*innen und Verbrauche*innen bewusst ist, wie sich unser Verhalten auf unsere unmittelbare Landschaft und die größere globale Umwelt auswirkt, können wir uns ändern und zukunftssichere Wege schaffen, die weg von der Zerstörung und hin zur nachhaltigen Fürsorge des Planeten führen, inklusive seiner Ökosysteme und komplexen ökologischen Zusammenhänge – und damit auch uns als Menschen.
ZEITGENÖSSICHER LUXUS
Mit saisonalen Blumen und deren unglaublichen Vielfalt, ändert sich auch die floristische Gestaltung. Es entsteht ein verändertes Verständnis dafür, wie Blumen betrachtet, gestaltet, präsentiert und verarbeitet werden können — Doch und die alten Herangehensweisen der Floristik anzupassen und in eine neue Ära zu führen, muss sich eines zuerst ändern: Das Hinsehen und das bewusste Wahrnehmen der Pflanzen, wie deren Form, Farbe, Textur und Charakter.
Zeitgenössische Floristik ist Luxus – es ist eine Art des Schaffens, zumindest für das nächste kommende Jahrzehnt und all denjenigen, die sich mit ökologischen und sozialen Zwängen auseinandersetzen. Florale Werkstoffe und Materialien bewusst zu sehen, mit all ihren potentiellen Makeln, wie Witterungsverfärbungen, Insektenfraß und urig, krummen Stielen ist dabei essentiell. Es ist ein einzigartiger Ausdruck von Schönheit und der Individualität der Blumen — Im Gegensatz zu konventionellen Praktiken is keine Pflanze, keine Blüte, ja keine Gestaltung die gleiche. Nicht reproduzierbare Eigenheiten, die nur natürlich entstehen und in unserer Gesellschaft, in der alles gleich Gelb, gleich gebogen und gleich Bananig sein soll, erst wieder ihre Wertschätzung erfahren dürfen. Hier besteht der Luxus nicht mehr darin, alles zu jeder Zeit, sondern weniges, besonderes nur während einer bestimmtem Jahresperiode zu bekommen. Bewusst gestaltet, bewusst vergänglich.
Bei Haute Jardin gibt es eine tiefe Berücksichtigung und Verbundenheit zu der wilden Natur und insbesondere ihrer Saisonabhängigkeit. Ihrer Unvorhersehbarkeit.
Es beeinflusst alle Entscheidungen, die getroffen werden: gestalterisch, sozial und geschäftlich. Regionalität und Saisonalität bedeutet für mich persönlich: ein ganzheitlicher nahhaltiger und gelebter Luxus. Es bedeutet aus der Fülle zu schöpfen und die Jahreszeiten mit zu begleiten und den Zufall zuzulassen.
Denn darin liegt die wahre Magie der zeitgenössischen Floristik – die Jahreszeit zu ehren und Wege zu finden, ihre Schönheit zu betonen und zu erzählen. Mit nachhaltigen Techniken und dem Verständnis, dass es eine ganz andere Ästhetik und Gestaltung gibt: Eine ganz andere Art des Schaffens und eine wirklich notwendige, denn Kreation und Schöpfung, insbesondere bei der Natur, sollte nicht ihre unvermeidliche Zerstörung beinhalten.
“Zeitgenössische Floristik muss sich für den Erhalt der Natur und der heimischen Flora und Fauna einsetzen, wo immer sie kann. — So schwingt sie sich hoch in die Gemüter der Schönheit und beflügelt jeden, der Teil davon sein kann.”